SCIENCE.SHORTS

Fragen an Oldenburger Wissenschaftler*innen

Die science.shorts sind ein neues Veranstaltungsformat der Universität Oldenburg und des Schlauen Hauses für alle Interessierten im Alter von 10 – 99.

Die Psychologie ist eine Wissenschaft, die sich mit bewussten und unbewussten psychischen Vorgängen, dem Erleben und Verhalten beschäftigt.

Warum können wir nur einer Stimme lauschen? Warum erinnern wir uns leichter an Aufgaben, bei denen wir unterbrochen werden? Warum hören wir die Rufe von Fledermäusen nicht? Was sind Zwangshandlungen? Wie helfen die Rillen auf unseren Fingerkuppen uns beim Fühlen?

Anlässlich des aktuellen Wissenschaftsjahres „Nachgefragt!“ luden die Universität Oldenburg und das Schlaue Haus Neugierige jeden Alters ein, ihre Fragen an die Wissenschaft zu stellen. Die Fragen wurden in einer Veranstaltung am 17. Dezember 2022 im Schlauen Haus von Prof. Dr. Andrea Hildebrandt, Prof. Dr. Christiane Köppl und weiteren Wissenschaftler*innen aus der Neurowissenschaft und der Psychologie der Universität Oldenburg beantwortet.

Schwerpunkt der psychologischen Forschung in Oldenburg ist die kognitive und soziale Neurowissenschaft. Diese versucht zu erklären, wie Körper und Geist zusammenarbeiten, um psychische Vorgänge zu erzeugen. Die Forschenden arbeiten auch eng mit Sinnes- und Neurobiolog*innen zusammen. Diese befassen sich mit dem faszinierenden Zusammenspiel von Sinnesorganen und Gehirn, das zu Empfindungen wie Fühlen, Hören oder Sehen führt – bei Mensch und Tier.

Folgende Fragen wurden von Wissenschaftler:innen der Universität Oldenburg im Zusammenhang mit der Veranstaltung beantwortet:

1.Warum handeln wir oft anders als wir wüssten, dass es richtig wäre? Beispielsweise fällt es uns oft schwer, nachhaltig und ökologisch zu handeln, obwohl wir es besser wissen.

Unser gesamter Alltag wird durch Gewohnheiten begleitet. Sie sind feste Abläufe und Entscheidungsketten, bei denen wir nicht viel nachdenken müssen. Gewohnheiten haben einen schlechten Ruf, helfen uns aber unsere geistigen Ressourcen effizient einzusetzen. Ohne Gewohnheiten würde man morgens schon darüber nachdenken müssen, mit welchem Fuß man zuerst aus dem Bett steigt, ob man die Vorhänge aufmacht, oder im Dunkeln ins Bad geht, welcher Zahn zuerst und wie lange geputzt werden soll und in welcher Hand man die Zahnbürste halten möchte. Wir wären morgens schon völlig erschöpft und hätten nicht mehr ausreichend Ressourcen übrig, um den Alltag mit Schule, Arbeit, Familie und Freunden zu bewältigen. Da Gewohnheiten unbewusst zu Handlungen führen und so wichtig für unser alltägliches Überleben sind, ist es sehr schwer, sie zu verändern. Sollten wir Gewohnheiten verändern wollen, müssen wir wiederholt in automatische Handlungsabläufe eingreifen und uns immer wieder bewusst für ein Verhalten entscheiden, das unseren Gewohnheiten nicht entspricht. Dazu brauchen wir viel kognitive Kapazität, aber auch eine Menge Motivation um durchzuhalten.
Zudem hat sich auch die Gesellschaft Vieles "angewöhnt" und Veränderung ist genauso wie im individuellen Fall mit viel Aufwand verbunden. Der Verkehr zum Beispiel ist für Autos ausgerichtet und die Fahrradfahrenden werden im täglichen Verkehr oft benachteiligt. Gegeben die Umstände, sich für das Auto zu entscheiden, ist sehr verführerisch und das Individuum muss für ein "gutes" Verhalten viele Widerstände des Systems überwinden, weil unökologische Verhaltensweisen leider immer noch bevorzugt werden. Wichtig ist, dass man sich keine Vorwürfe macht, wenn es einmal nicht klappt mit dem "guten" oder "richtigen" Verhalten. Unser Gehirn und unsere Gesellschaft legen uns da manchmal große Steine in den Weg. Ausdauer ist notwendig.
Inka Kuhlmann
Doktorandin, Department für Psychologie, Universität Oldenburg

2. Gibt es Schizophrenie auch im Tierreich? Wenn ja, wie kann man das nachweisen?

Die Symptome einer Schizophrenie sind vielfältig. Häufige Symptome sind Halluzinationen, wie Stimmen hören, Wahnvorstellungen, Denkstörungen und soziale Beeinträchtigungen. Das heißt, um zu beweisen, dass Schizophrenie bei Tieren existiert, müsste man das Vorhandensein dieser Symptome beim Tier zeigen. Während dies bei sozialen Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel dem mangelnden Interesse, mit anderen in Kontakt zu treten oder auf Körperhygiene zu achten, beim Tier nachgewiesen werden kann, ist es bei den anderen Symptomen schwierig. Dennoch gibt es Hinweise, dass (zumeist allerdings nach Verabreichung von Drogen) Tiere Handlungen durchführen, die nicht mit irgendwelchen Reizen in der Umgebung zusammenhängen, was auf Halluzinationen hindeuten könnte. Andere Forschende haben sich dem Thema aus genetischer Sicht genähert. Sie argumentieren, dass verschiedene Gene, die an der Schizophrenie beteiligt sind, in einer Region liegen, die beim Menschen eine sehr schnelle Entwicklung durchgemacht hat und dies auch mit der Entwicklung der Sprache zusammenhängt. Sie gehen deshalb davon aus, dass die Schizophrenie eine typisch menschliche Erkrankung ist. Ich würde allerdings nicht ausschließen, dass auch Tiere Schizophrenie haben könnten.
Prof. Dr. rer. nat. Christiane Thiel
Vizepräsidentin für Forschung und Transfer, Universität Oldenburg

3. Warum haben Menschen so unterschiedliche Charaktere? Sind sie anerzogen oder kommt man so auf die Welt?

Die Frage, warum sich Menschen in ihrem Charakter unterscheiden, ist eine der wichtigsten Fragen der Persönlichkeitspsychologie. Die Disziplin hat große Fortschritte bei der Definition der Merkmalsbereiche gemacht, in denen sich Menschen unterscheiden. Personen unterscheiden sich beispielsweise auf dem Spektrum zwischen Introversion und Extraversion sowie zwischen Verträglichkeit und Unverträglichkeit. Früher ging man davon aus, dass Menschen in der Kindheit eine gewisse Stabilität in diesen Eigenschaften erreichen. Heute weiß man, dass diese Eigenschaften nicht immun gegen Einflüsse in der Jugend und im Erwachsenenalter sind, da sowohl die Gene als auch die Umwelt die Entwicklung der biologischen Systeme, die mit diesen Eigenschaften verbunden sind, während des gesamten Lebens beeinflussen.

Viele wissenschaftliche Ergebnisse unterstützen die Rolle von Genen und Gehirnmerkmalen bei Persönlichkeitsunterschieden. Es hat sich aber auch gezeigt, dass einschneidende Lebensereignisse das Potenzial haben, unser Verhalten, Denken und Fühlen zu verändern. Mit der Zeit verändern sich auch die Persönlichkeitsmerkmale und die damit verbundenen Gehirnsysteme. Das Ausmaß des Einflusses von Lebensereignissen auf die Persönlichkeit ist jedoch noch nicht genau bekannt. Erst seit kurzem ist es möglich, große Längsschnittstudien durchzuführen, um diese Frage wissenschaftlich präzise zu beantworten. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit kam zu dem Schluss, dass es einige überzeugende Belege dafür gibt, dass bestimmte Lebensereignisse Veränderungen in bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen bewirken können, z. B., dass junge Erwachsene, die in ihren frühen Zwanzigern eine romantische Beziehung eingehen, weniger Neurotizismus zeigen. Unsere Persönlichkeit kann von vielen Faktoren beeinflusst werden, die noch nicht vollständig erforscht sind, und der Einfluss dieser Faktoren kann je nach Merkmal, Alter und Person unterschiedlich sein.
Dr. Cassie Short
Postdoktorandin, Department für Psychologie, Universität Oldenburg

4. Warum hören die meisten Menschen auf einem Ohr besser als auf dem anderen?

Was die Empfindlichkeit der beiden Ohren angeht, so gibt es grundsätzlich keine systematischen Unterschiede zwischen rechtem und linkem Ohr. Im Laufe des Lebens kann es dann aber soweit kommen, dass eines der Ohren weniger empfindlich wird als das andere Ohr. Hierbei spielen meist Schädigungen durch lauten Schall eine Rolle, die durchaus asymmetrisch sein können. So kann man bei jüngeren Menschen beobachten, dass das Ohr, mit dem sie bevorzugt mit Ohrhörern Musik hören, besonders bei Frequenzen ab 4000 Hz unempfindlicher wird. Sportschützen können z. B. einen Verlust der Empfindlichkeit des Ohrs auf der Seite des Kopfes zeigen, an der sie das Gewehr anlegen.
Prof. Dr. Georg M. Klump
Abteilungsleiter, Abteilung für Zoophysiologie & Verhalten, Deptartment für Neurowissenschaften, Universität Oldenburg

5. Kann unsere Haut zwischen nass und trocken unterscheiden? Beispiel: Wenn ich Frischhaltefolie über meinen Arm lege und dann über den bedeckten Teil Wasser laufen lasse, habe ich das Gefühl, mein Arm sei nass. Das ist er aber nicht!

In unserer Haut sitzen verschiedene Typen von Sinneszellen, mit denen wir unsere direkte Umgebung wahrnehmen. Allerdings haben wir Menschen in unserer Haut keine Sinneszellen, die speziell nur auf Flüssigkeiten reagieren oder den Kontakt der Haut mit Wasser erkennen können. Stattdessen wird die Empfindung „nass“ durch mehrere gleichzeitig aktive Sinneszellen ausgelöst: Sogenannte Mechanorezeptoren reagieren auf Druckreize, und sogenannte Thermorezeptoren signalisieren dem Gehirn Temperaturänderungen. Wir lernen schon als Kleinkinder, dass Wasser auf unsere Haut einen leichten Druck ausübt und in der Regel kälter ist als unsere Haut. Wenn unser Gehirn nach dieser Lernerfahrung von einem Hautbereich gleichzeitig „kalt“ und „großflächiger, leichter Druck, der sich über die Haut bewegt“ signalisiert bekommt, dann schließt es daraus „diese Hautstelle ist nass“. Das funktioniert auch, wenn Frischhaltefolie zwischen der Haut und dem Wasser ist.

Übrigens können wir „nass“ besser mit behaarten Stellen der Haut wahrnehmen (z. B. auf dem Arm) als mit unseren unbehaarten Fingerkuppen. An den Wurzeln der kleinen Haare sitzen Sinneszellen, die auf Bewegungen der Haare reagieren, wie sie durch fließendes Wasser ausgelöst werden.

Prof. Dr. Jutta Kretzberg
Abteilungsleiterin, Abteilung Computational Neuroscience, Deptartment für Neurowissenschaften, Universität Oldenburg

6. Wenn wir eine starke Erkältung haben, warum schmecken wir manchmal nichts?

Unsere Geschmackswahrnehmung wird nicht nur durch Kontakt des Essens mit der Zunge bestimmt, sondern auch wesentlich durch Duftstoffe, die gleichzeitig in der Nase ankommen. Die Zunge selbst vermittelt die fünf Grundgeschmacksrichtungen süß, sauer, bitter, salzig und umami (ein herzhafter Geschmack, der an Fleisch erinnert). Rezeptoren für viel mehr Duftstoffe finden sich in der Riechschleimhaut der Nase und vermitteln die komplexe Wahrnehmung von ganzen Duftbuketts. Bei einer starken Erkältung sind die Zellen der Riechschleimhaut mit viel mehr Schleim als normal belegt und für Duftstoffmoleküle kaum mehr zugänglich. Ein lehrreicher Selbstversuch, der den Effekt simuliert, ist es, Schokolade zu essen, während man sich die Nase fest zuhält. Die Aromen der Schokolade können nicht über die Nase wahrgenommen werden, was dazu führt, dass der Geschmack flacher und weniger komplex ist. Was übrig bleibt, ist ein einfacher Geschmack nach Süße, Bitterkeit und möglicherweise das Mundgefühl von weichem Fett.
Prof. Dr. Martin Greschner, Prof. Dr. Christine Köppl und Dr. Karl-Wilhelm Koch
Abteilung Visual Neuroscience, Deptartment für Neurowissenschaften, Universität Oldenburg

7. Warum sind manche Menschen Rechtshänder und die anderen Linkshänder?

Die Antwort auf diese Frage ist nach wie vor umstritten. Während einige Erklärungen weitgehend verworfen wurden, z. B. jene, die sich auf Dämonen und Geister beziehen, es sind heute eine Reihe von Faktoren bekannt, die die Händigkeit bestimmen. Wie sie dies tun ist jedoch noch nicht herausgefunden worden. Die Tatsache, dass einige Formen der Händigkeit bei eineiigen Zwillingen häufiger auftreten, deutet auf einen starken Einfluss genetischer Faktoren hin. Das größere Ungleichgewicht zwischen Rechts- und Linkshändern beim Menschen (90 - 10%) im Vergleich zu anderen genetisch verwandten Tieren, deutet jedoch auf den Einfluss nicht-genetischer, z. B. kultureller Faktoren hin. Man denke nur an die Notwendigkeit, effizient mit Werkzeugen umzugehen oder eine Handschrift zu schreiben. Schließlich spielt auch die Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt eine wichtige Rolle. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Links- und Beidhänder*innen aufgrund von Regeln, die sie in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld gelernt haben, zu Rechtshänder*innen werden.
Juan F. Quinones
Doktorand, Department für Psychologie, Universität Oldenburg